Erinnerungen eines jüdischen Veteranen der Alliierten

Ein Kasseler Junge als Soldat der britischen Armee in Nordafrika
(Update 31.10.2018)

Sie lesen hier einen kleinen Ausschnitt aus den Lebenserinnerungen eines Veteranen der britischen Armee und später der jüdischen Brigade, der gegen Nazideutschland kämpfte. Sie werden in der Form wiedergegeben, in der sie von Mordechai Tadmor mir erzählt wurden. Der Text ist daher in der Ich-Form gehalten. Mordechai Tadmor war Martin Kaufmann, der seine ersten 10 Lebensjahre in Kassel verbrachte, um dann 1932 mit seinen Eltern und zwei Brüdern die Stadt zu verlassen und mit ihnen nach Palästina / Israel auswanderte. Als er kurz vor der Auswanderung auf das Kasseler Wilhelmsgymnasium wechselte, erlebte er als Schüler antisemitische Anfeindungen der deutschen Volksgemeinschaft (Nachbarn, Schüler und Lehrer). Trotzdem erinnert er sich gerne an die Straßen und Plätze der Kassel Altstadt zurück, in denen er als „Gassenjunge“ lebte. Martin überlebte den Krieg und heißt seit 1948  Mordechai Tadmor.

Eine ausführlichere Fassung der Erzählungen ist unter dem Titel „Westlich des Suez“ in gedruckter Form erhältlich und kann beim Autor bestellt werden.

Am 30.10.2018 ist Mordechai Tadmor leider verstorben. Er hinterlässt seine Frau Edith, mit der er fast 70 Jahre verheiratet war, zwei Söhne, Enkel und Urenkel. Ihnen und Martins Eltern ist eine kleine Broschüre gewidmet. 

I. Weihnachten in Kairo

Wir Rekruten hatten unsere Grundausbildung im Sarafand (heute Tzrifin1) hinter uns, bekamen neue Uniformen (unsere alten waren Bestände aus dem ersten Weltkrieg) und bestiegen die Fahrzeuge, die uns über den Suezkanal nach Kairo brachten. Die meisten von unserer Gruppe kamen aus einem Kibbuz oder einer Siedlung. Sogar Tel Aviv war damals eher ein Schtetl, denn eine große Stadt. Kairo hingegen war eine Metropole mit Straßenbahnen, Museen und Vergnügungsstätten, die wir aber leider nicht besuchen konnten, da unser Sold dazu nicht ausreichte. Wir trafen Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Kairo, die für uns eine Art von Klub organisierten, wo man billig essen konnte. Die Leute sprachen untereinander französisch, arabisch nur mit den Dienstboten. Ihre Töchter ignorierten uns leider. Wir wurden dort im Militärlager Abbasiyah untergebracht, es lag inmitten der Stadt. Im Lager war Betrieb als wären wir noch im tiefsten Frieden und das obwohl Marschall Grazianis2 Armee schon an der ägyptischen Grenze stand.

Ein Erlebnis, das ich bis heute mit meinem Dienst in der britischen Armee verbinde, war das Weihnachtsfest 1940. Es war mein erstes und letztes Mal Weihnachten zu feiern. Normalerweise wurden wir täglich gedrillt und inspiziert und mussten viel Zeit totschlagen. Dann kam der 24. Dezember. Das Camp verwandelte sich. Plötzlich stand der Drill nicht mehr auf der Tagesordnung wir wurden weder inspiziert noch angeschnauzt. Am Abend wurden wir in den großen Speisesaal des Lagers geführt. Die Halle war festlich geschmückt. In der Ecke stand ein Weihnachtsbaum mit allem was dazugehört, Kerzen, Sterne und Lametta. Auf dem Tisch standen Teller und Gläser. Normalerweise aßen wir aus sogenannten Messtins, das sind zusammenklappbare Blechnäpfe, deren einer Teil für Getränke vorgesehen war, der andere Teil für das Essen. Auf dem Tisch standen Bierflaschen und Boxen mit Zigaretten und zwar von der Marke “Player“ und “Capstan“, nicht die Sorte Zigaretten, die wir sonst als Ration erhielten. Das waren welche mit dem Namen “Victory“. Denen wurde nachgesagt, dass sie aus purem Kamelmist bestehen würden – jedenfalls schmeckten sie so.

Die Feier wurde natürlich für die Engländer ausgerichtet, doch wir waren als Gäste geladen. Nachdem alle Platz genommen hatten, betrat der Regimental Sergeant Major die Halle. Ein Regimental Sergeant Major, der höchste Rang des Sergeanten, ist verantwortlich für die Ordnung und Disziplin und normalerweise versuchten wir ihm aus dem Weg zu gehen, denn er fand immer einen Grund uns anzuschnauzen oder zu einer Arbeit einzuteilen. Er trug zur Feier des Tages seine Friedensuniform und wir standen auf. Er hielt eine Ansprache, und wir wurden mit „Gentlemen“ angesprochen. Das hinterließ bei uns einen großen Eindruck. Danach wurde der Weihnachtsbaum angezündet. Wir tranken ein Toast auf Seine Majestät King George VI und es wurden Weihnachtslieder gesungen. Unter anderem „Oh come all ye faithfull“. Wir versuchten mehr schlecht als recht mitzusingen. Dann wurde das Festessen aufgetragen. An die Speisenfolge habe ich keine klare Erinnerung mehr, war es das gute und reichlich ausgeschenkte Bier, ich weiß es nicht mehr genau. Aber es gab Steak, Kidny Pie und Plumpudding. Natürlich waren wir sehr beeindruckt und vielleicht sogar ein wenig stolz, ein Teil von dieser Organisation zu sein. Später relativierte sich dieser Eindruck.

Am nächsten Morgen gab es keine “Reveille“ (Wecken). Britische Offiziere brachten uns sogar den Tee an unsere Pritschen. Später erklärte man uns, das wäre der Brauch in der Army in Friedenszeiten. Nach wenigen Tagen war das alles leider vorbei.

II. Libyen

Wir erreichten Tripolis nach 3 Jahren Krieg in der Wüste. Oft glaubten wir, wir hätten es schon fast geschafft. Aber dreimal wurden wir auf halben Weg zurück gejagt. Doch nach Montgomerys Sieg bei El-Alamein, waren wir dann endlich am Ziel. Schon der Weg dahin war eindrucksvoll: Auf der Strecke von Derna nach Tripolis blühte alles. Deswegen wurde die Gegend auch „Djebel Achdar“ genannt, der „Grüne Berg“. Dort lebten italienischen Bauern, die von Mussolini dort angesiedelt wurden und die Gegend in einen Garten verwandelten. Jahre nach dem Krieg, nachdem Gaddafi die Macht übernahm, wurden sie verjagt und das Land wurde wieder zu Wüste, wo die Senussibeduinen3 ihr Unwesen trieben, was sie bekanntlich heute noch tun.

Tripolis war zu unserer Zeit eine schöne Stadt, erbaut im italienischen Stil, mit eindrucksvollen Gebäuden und nahezu unbeschädigt. Wie die Stadt heutzutage aussieht, muss ein Alptraum sein. Der Krieg war zu der Zeit, wo ich dort stationiert war, schon ziemlich weit weg – an der Grenze zu Tunesien. Dort konnte Rommel den neu angekommenen Amerikanern lehren, was Krieg ist, bevor sie ihm dann das Laufen beibrachten. Wir waren eingesetzt, um den Nachschub an die Front zu sichern. So hielt sich unsere Belastung in Grenzen. Wir bezogen ein Camp am Stadtrand und richteten uns dort ein. Nur die nächtlichen Angriffe deutscher Bomber hielten uns auf Trab, aber daran waren wir schon gewöhnt. Unser Camp lag in der Nähe des Viertels Gargaresh, wohin die Italiener, seit der Verbindung mit Nazideutschland, die Juden von Tripolis4 verbannten. Das war also so eine Art von Ghetto. Dort lebten sowohl die ehemals wohlhabenden jüdischen Einwohner von Tripolis als auch die sehr armen. Wir organisierten sofort eine Art Gemeinschaftsleben, unterrichteten Hebräisch, lehrten hebräische Lieder und halfen so gut wir konnten. Die meisten Bewohner des Ghettos sprachen italienisch und so fing ich schon dort an, Italienisch zu lernen.

Oft wurden wir zum Essen Freitagabends, also zum Sabbath, eingeladen. Dort lernte ich zum ersten Mal den Freitagabendfisch der tripolitanischen Juden kennen. Später erfuhr ich, dass das auch die Art der tunesischen, marokkanischen und algerischen Juden war, den Fisch zuzubereiten. Das Essen nennt sich „Chreime“. Der so zubereitete Fisch war so scharf, dass uns die Tränen liefen. Nie wieder habe ich so einen Fisch gegessen. Dazu tranken wir Arrak und einen Wein, der – ich glaube – aus Datteln gekeltert war. Man nannte ihn „Legbe“. Heute kennt den glaube ich kein Mensch mehr.

Mitte August endete dann dieses Leben. Wir wurden in ein isoliertes Camp versetzt, weit entfernt von der Stadt und mitten in der Wüste. Wir durften keinen Kontakt mehr mit der Außenwelt haben, auch nicht schreiben. Unsere Fahrzeuge wurden wasserdicht gemacht. Alles Vorbereitungen für das Unternehmen „Bigot“, die Invasion Italiens. Im September 1943 landeten alliierte Truppen in Sizilien. In Folge der erfolgreichen Befreiung Siziliens wurde Mussolini gestürzt und Italien schied als Kriegsteilnehmer an der Seite Deutschlands aus. Deutsche Truppen besetzten daraufhin den nördlichen Teil Italiens und errichteten die „Republik Salo“, in der Mussolini als Oberhaupt fungierte. So endete das tripolitanische Intermezzo für uns. Ein Nachspiel gab es noch: Viele Jahre später traf ich zufällig in Givatayim einen Mann aus Tripolis. Er war ein Schneider, der meine Hosen flickte. Wir kannten uns vorher nicht, freundeten uns aber an und ich besuchte in oft. Natürlich tauschten wir unsere Erinnerungen an Tripolis aus und unterhielten uns auf italienisch. Er ist schon lange tot. Eine Plakette an seinem Haus erinnert an ihn.

Martin Kaufmann und sein bester Freund Israel Gefen
als Soldaten der britischen Armee in Nordafrika (© JD)

III. Italien

Wir haben die italienische Bevölkerung ganz unterschiedlich wahrgenommen und kennengelernt. Da waren, zum ersten, die italienischen Siedler in der Provinz Cyrenaika, die von Mussolini im fruchtbaren Teil Libyens angesiedelt wurden. Soweit sie nicht evakuiert waren, lernten wir sie als stolze Faschisten kennen, die nichts mit uns zu tun haben wollten. Ganz anders war die Situation nach der Landung der Alliierten in Sizilien und Salerno. Es kam zu einem Waffenstillstand, die Deutschen übernahmen das Land und die Italiener und wir waren auf einmal Verbündete.

Meine Abteilung wurde nach der Landung in die Nähe von Neapel versetzt. Neapel war der Hauptnachschubhafen für die 5. Amerikanische Armee, der wir unterstellt waren. Die Korruption war fürchterlich. Alles wurde verschoben, alles war zu haben, einschließlich Frauen – für eine Dose Cornedbeef oder eine Stange Zigaretten. Ich bin stolz auf die Tatsache, dass wir, d.h. meine Kompanie, im Großen und Ganzen sauber blieben. Wir waren eben immer noch Idealisten, so komisch das heute klingt.

Mit den Italienern kamen wir gut zurecht. Die meisten Italiener, besonders in den Dörfern, in denen wir kampierten, hatten keine Ahnung, wer wir waren und woher wir kamen. Wir wurden gefragt: „Woher kommt ihr ?“ Wir antworteten: „Aus Palästina“. Die Antwort: „Ah bene, siete da Palestrina“. Den Ort gibt es wirklich, in der Nähe von Rom. In Florenz, wo wir nach Kriegsende längere Zeit stationiert waren, gab es dann ziemlich viel Kontakt zwischen den Italienern und uns. Einige von uns heirateten sogar Florentinerinnen. Ich selbst schloss Freundschaft mit einem Italiener, der als Zivilangestellter bei uns arbeitete und besuchte ihn oft zu Hause. Er hatte eine 10-jährige Tochter, die mein Italienisch korrigierte, während ich ihre englischen Hausaufgaben durchsah. Mit dieser Familie korrespondierte ich noch Jahre danach. Die Liebe zu Italien, zur italienischen Sprache und zur Literatur ist mir bis heute geblieben.

Alles in Allem hatte ich in Florenz einen bequemen Job, der mir viel freie Zeit ließ. Diese Freizeit nutzte ich aus um Florenz kennen zu lernen. Ich verliebte mich in diese Stadt mit ihren historischen Brücken und Gebäuden. Auf einem meiner Streifzüge durch die Stadt lernte ich ein Mädchen kennen. Sie hieß Lina und arbeitete in einer Wäscherei, nicht weit von unserem Kompanie HQ. Auch sie wohnte in der Nähe. Sie lud mich ein, sie daheim zu besuchen. Ihre Eltern lebten in ärmlichen Verhältnissen. Da war noch ein kleiner Bruder, er hieß Gianpaolo. Die Eltern hatten keine Einwände gegen meine Besuche, denn meistens brachte ich etwas mit: Einige Dosen Corned Beef die mir mein Freund, der Küchenchef spendierte oder Zigaretten der Marke „Player“ aus unserer „NAAFI“ (Kantine). Wir unternahmen Streifzüge durch die Stadt und besichtigten die Sehenswürdigkeiten der Stadt, den Palazzo Vecchio und den Dom. Das war das erste Mal, dass ich eine Kirche von innen sah. Meine Mutter sagte immer: „Ein Jude geht nicht in eine Kirche“. Auch die Martinskirche in Kassel sah ich nie von innen. Lina führte mich auch an die Santa Trinita Brücke, dort wo Dante Beatrice zum ersten Mal sah. Jedes Kind in Florenz kennt die Geschichte der Stadt. Einmal bat sie mich, sie in eine Kirche in in der Nähe ihrer Wohnung zu begleiten, zur Beichte wie sie sagte. Während ich auf sie wartete, setzte sich ein Pater zu mir (ich glaube, es war arrangiert). Er stellte sich als Prete Giuseppe vor und stellte mir Fragen über meine Herkunft, Religion usw. Er war sehr angetan, als ich ihm erzählte, dass ich aus Palästina komme und er fing an über Jesus, Maria, und die Kreuzigung zu erzählen.

Am Ende des Gespräches lud er mich ein, an einem Sonntag an einer Messe teilzunehmen. Ich folgte seiner Einladung und war auch sehr von dem Zeremoniell beeindruckt, das so verschieden von dem Unseren war. Bei meinem letzten Besuch gab er mir ein Gebetbuch mit Gebeten in lateinischer Sprache mit, das ich bis Heute habe. Ich las oft darin und war sehr beeindruckt von der lateinischen Sprache und von dieser Zeit rührt mein Interesse an dieser Sprache. Doch bevor Lina und ich über eine gemeinsame Zukunft sprechen konnten wurden wir getrennt. Aber ich hatte auch noch keinen Begriff, wie eine solche Zukunft hätte aussehen können. Ich war noch absolut unreif und kindisch in dieser Beziehung, denn ich war zwar lange Soldat, hatte aber weder Beruf, Bildung noch Rückhalt in der Familie. Ich auch an ein Leben im Kibbuz. Vielleicht wären wir beide dort aufgenommen worden.

Mordechai Tadmor liebte nicht nur die italienische Sprache. Das ist Lina aus Florenz.

Auf jeden Fall aber, das Schicksal wollte es anders. Der Krieg war zu Ende und die dienstältesten Soldaten (ich war unter diesen, ich hatte die Dienstnummer 529) bekamen 56 Tage Heimaturlaub. Dieser Urlaub erwies sich für mich als Katastrophe – Alles war mir fremd geworden. Ich wollte zurück nach Italien aber dahin führte kein Weg zurück. Für meine Anstrengungen nach Italien zurückzukommen wurde ich auf einen Posten in der Negevwüste (Bir Asluj) verbannt wo ich bis zu meiner Entlassung aus dem Dienst bleiben musste. Lina heiratete einen Kameraden aus meiner Kompanie und kam mit ihm sogar nach Israel. Aber ich sah sie nie wieder. Bei der letzten Zusammenkunft unserer Kompanie im Jahre 1988, traf ich ihren Mann. Er erzählte mir, dass sie ein Jahr zuvor an Krebs starb. Ite, Missa est.

1 Tzifrin ist heute eine israelische Militärbasis. Sie liegt südöstlich von Tel Aviv.

2 Rudolfo Graziani war ein italienischer General. Er war u.a. für den Einsatz chemischer Waffen in Abessinien und völkermordähnlichen Deportationen in Libyen verantwortlich. 1940 scheiterte ein Angriff seiner Truppen auf Kairo. In der sogenannten Republik Salo war er Verteidigungsminister. Nach dem Krieg trat er 1955 der faschistischen MSI bei. Graziani starb 1955.

3 Senussi-Beduinen sind eine Bevölkerungsgruppe in Libyen, die stark vom Soufi-Orden beeinflusst waren. Viele von ihnen waren Gegner der italienischen Besatzung und kooperierten mit den Alliierten. Das Oberhaupt der Senussi-Beduinen wurde nach 1945 als Regent eingesetzt. Die Regierung wurde von Gaddafi gestürzt. Der Soufi-Orden war unter Gaddafi verboten, ohne jedoch den gesellschaftlichen Einfluss eingebüßt zu haben.

4 In Tripolis gab es wie in vielen anderen nordafrikanischen Städten, wie auch im schon erwähnten Kairo, seit der Antike eine uralte jüdische Gemeinde. Unter italienischer Herrschaft wuchs diese Gemeinde zunächst an und erfuhr auch nach der Einführung antisemitischer Gesetze in Italien keine Benachteiligung. Erst nach der Besetzung Libyens durch deutsche Truppen, wurde ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung Libyens interniert und in ein Zwangsarbeiterlager deportiert, wo viele Juden umgebracht wurden, oder an den unmenschlichen Arbeitsbedingungen starben. Nach dem Krieg kam es dann schon 1945 zu einem Pogrom, bei dem über 100 Juden von einem Mob umgebracht wurden. 1948 kam es erneut zu Angriffen auf die jüdische Bevölkerung, die sich jedoch verteidigte. Danach begann die Vertreibung des Großteils der jüdischen Bevölkerung aus Libyen (wie aus den anderen arabischen Staaten). Die letzten verbliebenen Juden wurden 1967 aus Tripolis vertrieben.

DITIB – UETD – ATIB – scheißegal

Einer von uns – und die Indifferenz der Wohlmeinenden

„Einer von uns“ heißt eine Plakatserie, die uns deutlich machen will, dass Kassel eine tolerante und weltoffene Stadt ist, in der Migranten und solche, die man als Bürger, mit migrantischem Hintergrund bezeichnet, akzeptierter und integrierter Teil der Gesellschaft sind. Die Plakatserie hängt in der Markthalle, in der vor allem die einkaufen gehen, die als die etwas Betuchteren gelten und die sich dem wohlmeinendem, mit notorisch guter Gesinnung  ausgestatteten Kasseler Bürgertum zuzählen dürften.

Einer von uns. Das Plakat links zeigt Kamil Saygin.

Das links hängende Plakat zeigt den Vorsitzenden des Ausländerbeirats Kassel Kamil Saygin. Er steht der UETD nahe, vielleicht ist auch Mitglied dieser Organisation. Die UETD ist die Lobbyorganisation der AKP in Deutschland. Die UETD hatte im Zusammenhang der Armenienresolution des deutschen Bundestages Protestbriefe an die Abgeordneten gesandt, die Bedrohungen an diese nach sich zogen, zu denen die UETD schwieg. (vgl. Wikipdiaeintrag UETD) Man kann davon ausgehen, dass die UETD wie auch die DITIB missliebige „Landsleute“ an die türkischen Organe meldet, was die bekannten Folgen nach sich zieht.

Bericht von einer UETB-Versammlung auf der auch Kamil Saygin als Vertreter genannt wird. Im übrigen wird hier vermeldet, dass die „türkischstämmigen“ Bürger vor allem SPD wählen würden – was einiges über den Obersultan in Kassel erklärt.

In Kassel gibt es eine eng kooperierende politische Szene aus UETD, Milli Görüs, DITIB und ATIP (Graue Wölfe), die man getrost als faschistisch und islamistisch bezeichnen kann.

Die, die zu uns gehören – Die Harzburgerfront in Kassel

Sie organisierten u.a. eine Busfahrt zum großen Kölner Politspektakel. Auf der Busfahrt wurden die einschlägigen Grusszeichen präsentiert, die man dann auch stolz im Internet präsentierte. Eine Distanzierung der entsprechenden Szene zum Kasseler Aufruf zum Märtyrertod und zur Vernichtung der Gegner gibt es bis heute nicht.

Wahlaufruf der Liste G2000 auf der Kamil Saygin (links oben) u.a. neben dem Milli Görüs-Mann Caglar Öztürk (unterste Reihe 3. von links) geführt wird.

Man stelle sich vor, es würde eine Plakataktion geben, in der der sich der schon einmal als Nazi bekennende Kasseler AfD-Stadtverordnete Michael Werl als „Einer von uns“ bezeichnet würde.

PS
Bis heute (15.10.2017) werden die maßgeblichen faschistisch und islamistischen Moscheevereine als sunnitische Dialogpartner des Rat der Religionen der Stadt Kassel geführt.

Der Tod eines freundlichen Nazis und andere Entbehrungen

Kassel, Reichskriegerhauptstadt, Stadt Roland Freislers, Produktionsstandort des Kampfpanzer Tigers, des Flugzeuges Fieseler Storch (auf letzteres ist man in Kassel bis heute stolz) usw. war im 2. Weltkrieg mehrfach Angriffsziel britischer und US-amerikanischer Bomberverbände. Bei den Angriffen wurde die Stadt nachhaltig bombardiert, was die Volksgenossen jedoch nicht dazu brachte die Volksgemeinschaft aufzukündigen. „Die Akten der Verfolger lassen […] erkennen, daß Verweigerung und Aufbegehren in der Kasseler Arbeiterschaft während des Krieges in erster Linie die Sache der ausländischen Arbeiter war.“ (Jörg Kammler, Widerstand und Verfolgung – illegale Arbeiterbewegung, sozialistische Solidargemeinschaft und das Verhältnis der Arbeiterschaft zum NS-Regime, in: Volksgemeinschaft Volksfeinde, Kassel 1933 – 1945, Band 2)

Die Angriffe auf Nazideutschland forderten zahlreiche Opfer unter den Bomberbesatzungen, darunter auch die Besatzung eines Kampfbombers, der in ein bei Kassel gelegenes Dorf abstürzte. Dieser Absturz war am 29.09.2017 Gegenstand der Berichterstattung der hiesigen Lokalpresse. Der Artikel in der HNA zeigt exemplarisch, wie sich Volksgemeinschaft und Postnazismus im Gefühlshaushalt der Volksgenossen darstellt.

Memorial Kanadischer Soldaten, die im 2. Weltkrieg ihr Leben ließen. Das im Kampf gegen Nazideutschland in Istha gefallene Besatzungsmitglied Lionel G. Chaston ist dort aufgelistet.

Beim Absturz des getroffenen Kampfbombers der Royal Air Force kamen alle vier Besatzungsmitglieder und drei Dorfbewohner ums Leben. Einer von den ums Leben gekommenen Dorfbewohnern war der stellvertretende Bürgermeister des Ortes. Über den Tod des stellvertretenden Bürgermeisters heißt es in der HNA: Es habe große Trauer geherrscht, „weil er wegen seines freundlichen Wesens sehr beliebt war.“ Die politischen Ämter in den Kommunen waren bekanntlich von 1933 – 1945 von Nazis besetzt. Aber wenn es doch ein freundlicher Nazi war, dann wird man ja seinen Führer auch noch lieben und wenn er ins Gras beißt, auch betrauern dürfen.

Nebulös berichtet der Dorfchronist R. Brüning in der offiziellen Geschichtsschreibung des Ortes von „heute schwer nachvollziehbaren Konflikten“ im Dorf, die sich noch 1933, kurz nach dem die NSDAP in Deutschland bestimmende politische Kraft wurde, in Prügeleien entluden. Die NSDAP war im Wahlkreis Hessen Waldeck als auch in den Gemeinden Wolfhagen und Umgebung schon vor 1933 stärkste politische Kraft. Genauso wenig wie man näheres über die schwer nachvollziehbaren Konflikte erfährt, ist das was nach 1933 kam kein Thema in der historischen Darstellung. Erst über den Zeitpunkt, als sich amerikanische Truppen im Jahr 1945 dem Ort näherten, finden sich ein paar dürre Informationen. Es war „die günstige Verkehrsanbindungen“, die 1945 Probleme auch nach Istha brachten.

Die Bewohner des Dorfes sahen plötzlich das Wohl des Dorfes gefährdet, weil eine SS-Einheit den Kampf mit der US-Army aufnehmen wollte.  Eine Bewohnerin des Dorfes  weiß im Artikel der HNA zu berichten: „Der Krieg bedeutete viele Entbehrungen. ‚Wir sind mit kaltem Wasser aufgewachsen, und oft gab es nur trockenes Brot. Unsere Landwirtschaft hat uns am Leben gehalten’“ –  wenn das der Führer gewusst hätte! Eine andere Entbehrung der Volksgenossin war, dass sie nur eine Notkonfirmation feiern durfte. Schlimm dieser Krieg! Und hätten die Volksgenossen damals schon von Verkehrsberuhigung etwas gewusst, dann wären ihnen auch die Fährnisse des Einmarsches der Amerikaner erspart geblieben.

Während also junge Männer auch aus Kanada für die Royal Air Force im besten Alter ihr Leben für den Kampf gegen Nazideutschland gaben, warteten die Bewohner und ihr geliebtes Führungspersonal im Dorf bei Notkonfirmation, Wasser, Brot und landwirtschaftlichen Produkten ab, bis die amerikanischen Truppen kamen. Als es dann mit dem 1000-jährigen Reich auch in Istha vorbei war, empfand die zitierte Bewohnerin des Ortes die Ankunft der GIs als Befreiungsschlag. Antifaschismus in Deutschland ist – wenn es die Anderen machen. Ein anderer Dorfchronist wusste jedoch über weitere Probleme dieser Tage zu berichteten: „Plünderungen durch Ausländer, hauptsächlich Polen, waren an der Tagesordnung. Die Bevölkerung war machtlos.“

Woher kamen plötzlich diese zu Beginn dieser Glosse schon einmal erwähnten Ausländer? Dass sie für die Volksgemeinschaft an der Macht auf den Feldern der Volksgenossen (und in den Kasseler Fabriken) schufteten, damit diese mit den Produkten der Landwirtschaft wohlgenährt am Leben erhalten wurden, das ist jedenfalls weder Thema der Dorfchronisten noch der Berichterstattung über einen Absturz.

 

Ein Vertreter der Partei der Freunde des Genickschusses vor dem Arbeitsgericht – und die Indifferenz einer Gewerkschaft

In Kassel kam es am Freitag zu einer Gerichtsverhandlung. Der Kasseler Aktivist der MLPD Andreas Gärtner soll Flugblätter für diese Partei auf dem Firmengelände von VW verteilt haben. Deswegen wurde er abgemahnt.1 Soweit so unspektakulär.

Gärtner ist jedoch auch als IG-Metall-Mitglied führender Vertrauensmann. Das erstaunt. In der IGM gilt folgender Passus: „Der Ausschluss von Mitgliedern ohne Untersuchungsverfahren kann auch erfolgen, wenn sie einer gegnerischen Organisation angehören oder sich an deren gewerkschaftsfeindlichen Aktivitäten beteiligen oder diese unterstützen.“ Es gab in der Geschichte der IGM auch diverse Ausschlüsse von Personen dieser Organisation. Die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von MLPD-Mitgliedern wurde vom BGH (Az: II ZR 255/89) bestätigt.2

Kann die MLPD von einer Gewerkschaft als gegnerische Organisation verstanden werden? Die MLPD, das dürfte bekannt sein, ist eine Partei, die „stets Stalins Verdienste beim Kampf um die internationale Revolution“3 verteidigt. Aber trotz seiner Verdienste habe er jedoch den notwendigen ideologischen „Kampf gegen die kleinbürgerliche Denkweise vernachlässigt und auf die Mobilisierung der Massen gegen die kleinbürgerlich entarteten Vertreter der Bürokratie verzichtet.“4 Das kann man so deuten, dass noch zu wenig „entartete Vertreter der Bürokratie“ in den Kellern der Lubjanka erschossen wurden, dass zu wenig von ihnen in den Arbeitslagern verreckt sind. Zwar wird an einer Stelle zugestanden, dass „auch unschuldige Menschen hingerichtet oder zu Freiheitsstrafen verurteilt“ wurden, doch dieser Satz ist mehr als zweideutig, denn das „auch“ bedeutet, dass offensichtlich vor allem schuldige Menschen hingerichtet wurden. Eine monströse Behauptung.

An anderer Stelle werden die Verbrechen in Anführungsstriche gesetzt. Nach dem – für Millionen eine Erlösung – Stalin der Tod ereilte, versuchte der XX. Parteitag den Terror unter Stalin zu begreifen, zu verurteilen und die Ehre einiger der Opfer des stalinistischen Terrors wieder herzustellen. Dieser Parteitag der KPdSU ist nach Ansicht des ehemaligen Vorsitzenden der MLPD Stefan Engel eine „historische Katastrophe für die Menschheit“5. 2010 wurde folgender Satz formuliert: „Die von Chruschtschows ‚Geheimrede‘ auf dem XX. Parteitag der KPdSU ausgehende Hetze gegen Stalins angeblichen ‚Personenkult‘ und ‚Verbrechen’“ hätte zur Verwirrung der Revolutionäre beigetragen.6

Kein verwirrter Revolutionär, sondern unermüdlicher Schlächter „kleinbürgerlich- entarteter Bürokraten“

Als Stalin an die Macht kam, gab es längst keine freien Gewerkschaften mehr. Die Führung der der Partei untergeordneten Gewerkschaft wurde unter Stalin dennoch hingerichtet. Prominente Opfer waren Solomon Losowski, Adrés Nin und Michail Pawlowitsch Tomski. Ob sie in der Interpretation der MLPD auch zu den „entarteten Vertretern der Bürokratie“ gehörten, weiß man nicht genau. Angesichts der Tatsache, dass sie der „Nomenklatura“, bzw. der staatlichen Bürokratie angehörten, Tomski darüber hinaus ein Befürworter der Neuen Ökonomischen Politik war, Nin ein Trotzkist ergo im stalinschen Sinne ein „faschistischer Agent“ und Losowsk gar ein „Zionist“, kann man es aber vermuten.

In den Ausführungen der MLPD über den Begriff „Diktatur des Proletariats“ heißt es, „der Kampf […] wird sich allerdings im Sozialismus fortsetzen, bis in den Kommunismus hinein. Zuletzt darf man nicht vergessen, dass die Unterdrückung im Sozialismus im Interesse und Auftrag der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung ausgeübt wird. Sie richtet sich gegen eine verschwindende Minderheit von Kapitalisten, Ausbeutern, Kriegstreibern, Faschisten sowie ihrer Helfer und Helfershelfer.“7 Wer die im Interesse der Mehrheit zu Unterdrückenden sein sollen, lässt Rückschlüsse auf das Verständnis von Rechtsstaatlichkeit zu und ist schon allein angesichts der Begriffe „Ausbeuter“ und „Kriegstreiber“ völlig willkürlich. Auch der Begriff „Faschist“ ist in der Geschichte kommunistischer Parteien bekanntlich sehr kreativ angewendet worden. Die Ausdehnung der angestrebten Unterdrückung auf die „Helfer und Helfershelfer“ ist der vollendete Ausdruck einer Vorstellung von Willkür,  Terror und der Denunziation als legitime Methoden in der Politik – und nicht zu letzt das, was Moishe Postone als deutsche Revolution beschrieb. Dass auch Gewerkschafter diese „Helfer und Helfershelfer“ sein können, lässt die Interpretation des Wahlprogramms der MLPD zu, wenn es dort heißt: „Kampf dem Co-Management.“8

Wenn der Betriebsrat von VW Gärtner als jemanden hinstellt, der als gewerkschaftlicher Vertrauensmann „ordentliche Arbeit“ leiste, mag dies vielleicht sogar stimmen. Wer sich mit der Geschichte des Stalinismus und mit dem Verhältnis der Bolschewiki zu den Gewerkschaften auskennt weiß aber auch, dass dieses Eintreten für Arbeitnehmerrechte aus rein instrumentellen Gründen erfolgte und nichts damit zu tun hat, dass Gärtner einer ist, der im Sinne einer freiheitlich und demokratischen Gesellschaft für die Rechte der Arbeitnehmer streitet.

1 HNA, 15.09.2017, VW-Mitarbeiter soll Wahl-Flyer verteilt haben: Keine Einigung vor dem Arbeitsgericht

3 „Die verlogene Stalin-Hetze und ihre Motive“ Artikel aus der Roten Fahne 04/2010, präsentiert auf dem Internetauftritt der MLPD. (https://www.mlpd.de/2011/kw31/die-verlogene-stalin-hetze-und-ihre-motive) 17.09.2017

4  Programm der MLPD, präsentiert auf dem Internetauftritt der MLPD. (https://www.mlpd.de/themen/klassiker-des-marxismus-leninismus/stalin), 17.09.2017

5 Stefan Engel, präsentiert auf dem Internetauftritt der MLPD. Vgl. FN 4

6 „Die verlogene Stalin-Hetze und ihre Motive“. Vgl. FN 3

7 Jörg Weidemann, Ausbeutung und Unterdrückung – im Sozialismus verschwunden? Präsentiert auf dem Internetauftritt der MLPD. (https://www.mlpd.de/2012/kw11/ausbeutung-und-unterdrueckung-2013-im-sozialismus-verschwunden), 17.09.2017

8 Gewerkschaften: Kampf statt Co-Management. Wahlprogramm der MLPD. Präsentiert auf dem Internetauftritt der MLPD (https://www.mlpd.de/internationalistische-liste/wahlprogramm/gewerkschaften-kampf-statt-co-management), 17.09.2017

Sie seifen Euch ein: Das Gebet und der Trialog

„Nein, tun sie [die DITIB] nicht! Mit solchen Aussagen können sie vielleicht ahnungslose Politiker überzeugen, jedoch jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass ihr Islamverständnis, ihre Werte erst die Basis schafft, auf der Radikale ihre Ideologie aufbauen. Sie sind für die Entstehung der ‚Generation Allah‘ mitverantwortlich. Sie sind nicht Teil der Lösung, sie sind Teil des Problems! Ihre Politik, Ihre Moscheen (auch wenn sie nicht homogen sind) dienen nicht Deutschland, nicht unserer Verfassung oder Demokratie. Sie dienen einem antidemokratischen Regime, das Abschottung und Isolation zu seiner Maxime erklärt!“ (Ahmad Mansour, 2017)

Am 17. Juli 2016 gab es in Kassel eine Kundgebung anlässlich des Putschversuchs in der Türkei. Bis auf vereinzelte Stimmen blieb eine kritische Resonanz zu dem Ereignis in Kassel bis zum Dezember aus. Die HNA berichtete über eine friedliche Kundgebung. Die Überschrift, „Vereint im Protest gegen Putschversuch“ verdeutlicht die Wahrnehmung der Presse. Was zunächst unbeachtet blieb, war der Beitrag des Kasseler Imam Semih Ögrünc. Am 8. Dezember stellte die Initiative „DITIB – Die Marionetten Erdogans“ eine Übersetzung des Redebeitrags des Imams Ögrünc auf Facebook. Das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel folgte am 9. Dezember. Danach herrschte wieder Grabesstille. Die HNA, wie auch der Hessische Rundfunk hatten dann Ende Januar, bzw. Anfang Februar den in vielen DITIB-Gemeinden gepredigten Juden- und Christenhass thematisiert um dann am 20. Februar die Sache auf dem Königsplatz an die große Glocke zu hängen. Am 27. Februar 2017 reagierte der Imam Ögrünc auf die späte Berichterstattung der HNA.

Seiner Replik vorangestellt sind auf türkisch genau die kritisierten Worte, nämlich dass man bereit sei, für das Vaterland und die Regierung Märtyrer zu werden. Danach beginnt er auf deutsch mit dem Mantra „Ich bin gegen jede Form von Diskriminierung, Terror und Gewalt und fördere den gesellschaftlichen Frieden“ gefolgt vom Bezug auf den Koran: „Wenn jemand einen Menschen tötet, ist es so, als hätte er die ganze Menschheit getötet und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, ist es so, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten.“ Und schon sind alle eingeseift und können sich wieder dem Schlafe hingeben, aus dem sie wohl nur kurz aufgeschreckt waren. Ungestört kann also der Imam weiter seine kruden Ansichten zum Besten geben. Seine Berufung sei es, „das Leben in Achtung und Respekt zu fördern.“ Was will er damit uns wohl sagen, wenn das Leben unter der Prämisse der Achtung und des Respekts zu fördern sei? Achtung vor wem und Respekt wem gegenüber? Das wird ausgelassen. Ist etwa das Leben desjenigen zu fördern, der den Islam achtet, der das Türkentum respektiert? Und überhaupt, was heißt hier Leben fördern? Das Leben vom Imam fördern zu lassen, heißt das, dass diejenigen, die sich nicht vom Imam das Leben fördern lassen wollen, zum Tode befördert werden? Eine Antwort darauf weiß nicht der Wind, sondern gibt sein „Gebet“.

Weiter beschwert sich der Imam, dass „in den letzten Tagen falsche Tatsachenbehauptungen gegen meine Person in der Öffentlichkeit tangiert haben.“ Er meint wohl, dass falsche Tatsachenbehauptungen über ihn lanciert wurden. Welche falsche Behauptungen sollen das sein? Ögrünc erklärt: „Bei dem Treffen in Kassel habe ich keine Rede gehalten sondern ein Gebet zelebriert.“ Klar ein Gebet ist Ausübung der Religion und die ist im Verständnis der Islamisten in Deutschland geschützt. Scheren wir uns an dieser Stelle mal einen feuchten Kehricht um das islamistische Verständnis von Religionsfreiheit, die Frage bleibt, was wurde da gebetet, bzw. gehetzt? Das Gebet oder die Rede hat sich positiv auf den Märtyrertod bezogen, hat von Parallelorganisationen und Mächten schwadroniert, den Allerbarmer um die Vernichtung und Verwahrlosung der Feinde angehalten und die Gemeinschaft gepriesen. Wahrhaftig ein Gebet, welches dem Islam zur Ehre gereicht. Die Initiative „DITIB – Marionetten Erdogans“ hatte den Bezug auf das Märtyrertum kritisiert, das Bga-Kassel, das Raunen über die Mächten, die Ideologie der Volksgemeinschaft, den Vernichtungswille und das Sein zum Tode (vgl., Die Todessehnsucht im Islam).

Der Imam Ögrünc geht in seiner Stellungnahme mit keinem Wort auf die inhaltliche Kritik ein. Er behauptet schlicht: „In meinem Gebet habe ich die Menschen zur Solidarität mit der Demokratie und dem Rechtsstaat in der Türkei eingeladen.“ Eine seltsam zweideutige Einladung. Entweder lädt man Mitstreiter dazu ein, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei einzutreten, was in der Türkei ein gefährliches Geschäft ist, weil dies gegen die herrschende Regierung und einer großen Mehrheit der türkischen Bevölkerung getan werden muss und hierzulande von den DITIB-Leuten im Auftrage der AKP beobachtet wird oder man lügt und betreibt die Propaganda Erdogans und seiner AKP-Regierung, indem man die Verhältnisse in der Türkei als demokratisch und rechtsstaatlich bezeichnet.

Im Folgenden gibt der Imam sich dann beleidigt und beginnt unverblümt zu drohen: „Es verletzt meine Kollegen und mich als Personen dargestellt zu werden die spalten, stigmatisieren und polarisieren.“ Na klar, er hat ja nur von einer Parallelgesellschaft schwadroniert, die die Einheit des Volkes gefährde, dafür kann er doch gerade in Deutschland Verständnis erwarten. Es dürfte klar sein, es ist nicht nur seine Person, die hier verletzt wird, sondern seine Ehre, denn er befürchtet „… das diese undifferenzierte Form der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung zwischen der nicht-muslimischen und der muslimischen Bevölkerung, insbesondere in der globalisierten Welt, tiefe Gräben schlägt“ und er mache sich dann „große Sorgen darüber, dass diese Umgangsformen insbesondere junge Muslime traumatisieren können. Am Ende würden solche potenziellen Umstände der gesellschaftlichen Vielfalt und dem harmonischen Zusammenleben leider nur schaden.“ Es hat ein paar Windungen und Zeilen gedauert, bevor er Klartext schreibt: Nehmt Euch in Acht, Kritik an unserer Gemeinschaft kann dazu führen, dass einige aus unserer Gemeinschaft die Contenance verlieren. Ja und wenn dann wieder einer über die Stränge schlägt und ein LKW besteigt, das Messer oder eine Schnellfeuerwaffe zückt oder eine Bombe platziert, es soll keiner sagen, er wäre nicht gewarnt worden. „In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Frieden“ beendet der Imam seine Philippika.

In Kassel gibt es im Rahmen der „Woche der Brüderlichkeit“ seit ein paar Jahren eine Veranstaltung die sich „Trialog“ nennt. Dort sollen die drei großen Weltreligionen miteinander in den „Trialog“ treten. Die HNA vermeldet nun, dass die Ereignisse auf dem Königsplatz dazu geführt hätten, dass die Veranstalter den Wunsch äußerten, „die Veranstaltung nicht in der Moschee stattfinden zu lassen. … Als Ausweichort für den Trialogtag hat das Team das Gemeindehaus Oberzwehren, Berlitstraße 2, gewählt. Es liegt in der Nachbarschaft der Moschee.“

Der „Dialogbeauftragte“ und offiziell von Kassels 4. Gewalt im Amt bestätigte Nebelwerfer der DITIB hat verstanden. „Das war meine große Bitte“, so Eryilmaz. Dadurch könne die türkisch-islamische Gemeinde weiterhin ihre Gastgeberrolle einnehmen und müsse sich nicht abgestraft fühlen.“ Das was sich der Imam wünscht, findet also statt. Man bezeugt sich gegenseitig Respekt und Achtung, redet nicht über das, was ein Imam so hetzt, weil das ja ein Gebet ist, was als Religionsausübung zu respektieren ist und auch nicht darüber und was ihn und seine Spießgesellen so antreibt, weil das ja seine bzw. ihre Religion ist. Und die Nichtmuslime des Trialoges hoffen dann wohl darauf, dass die Jungs von der DITIB das ihrige Leben fördern. Und anstatt den Jungs von der DITIB einzuhämmern was Freiheit des Individuums, was Antisemitismus bedeutet, was es mit Staat, Recht und Gewaltenteilung so auf sich hat, was Vermittlung im Glauben heißen könnte, oder über das islamfaschistische Regiment Erdogans zu sprechen, von der DITIB das Nein – HAYIR – einzufordern, zusammen mit der DITIB die Freilassung Deniz Yüzels und aller anderen politischen Gefangenen in der Türkei proklamieren, salbadern sie über „Engel der Kulturen“, beraten über Übergang von Schule in den Beruf, über religiöse Bildung und ethische Wertorientierung. Warum nicht gleich die AfD und oder die NPD mit eingeladen wird, bleibt unklar.

Das freundliche Gesicht der DITIB oder die Kultur der Nebelwerfer

Am 19.01.2017 vermeldet die HNA in einer kleinen Notiz auf der Nachrichtenseite, dass gegen die DITIB wegen Spionage ermittelt wird. Die mutmaßliche Spionagetätigkeit steht mittlerweile im Vordergrund der Diskussion um die DITIB. Die Kritik, dass die DITIB ein reaktionäres Gesellschaftsbild und eine konservative Islaminterpretation propagiert, als auch Schwierigkeiten damit hat, über Lippenbekenntnis hinaus sich vom terroristischen Islam zu distanzieren, ist dagegen eher randständig. Auch dass die DITIB sich nicht gegen Antisemitismus stellt, sondern im Gegenteil anfällig dafür ist, selbst Antisemitismus zu propagieren, ist in der gesellschaftlichen Debatte kaum Thema. Letzteres stört insbesondere auch die Linke nicht, die gelegentlich auch gegen die DITIB agitiert. Der in Kassel von der Partei Die Linke aufgestellte OB-Kandidaten, beschränkt sich eher darauf, die politischen Verhältnisse in der Türkei als vom Westen manipulierte zu kritisieren, wobei sein Augenmerk der Gülen-Bewegung gilt, die als CIA-Projekt gegeisselt oder gleich als Verschwörung des Westens angesehen wird. Cakir bläst mit dieser Argumentation letztendlich in das gleiche Horn, wie der von ihm ebenfalls hin und wieder kritisierte Erdogan. Was die Claqueure Erdogans in Kassel so treiben, interessieren ihn und die Partei hingegen weniger.

Überregional versucht sich, die aus anderen Zusammenhängen einschlägig bekannte Linksparteipolitikerin Sevim Dagdelen als DITIB-Kritikerin. Bei beiden dürfte als Motiv die eigene Verortung im Konflikt zwischen kurdischen Organisationen und der türkischen Regierung im Vordergrund stehen. Für diese Interpretation spricht, dass zwar gelegentlich die DITIB Gegenstand der Kritik der Linkspartei ist, jedoch nicht die zahllosen islamischen Vereine, geschweige denn der Islam – von letzterem will die Linke nichts wissen.

Screenshot HNA, 19.01.2017, "Auf eine Tasse Kaffee

Screenshot HNA, 19.01.2017, „Auf eine Tasse Kaffee

Aber die Sache mit der DITIB scheint auch nicht bis in die Niederungen der Lokalberichterstattung angekommen zu sein. Am selben Tag, an dem die HNA über die Spionagetätigkeiten der DITIB berichtet, trinkt die Lokalredaktion eine Tasse Kaffee mit einem gewissen Mahmut Eryilmaz. Mahmut Eryilmaz ist Mitglied im Vorstand der Mevlana-Moschee in Kassel, dies ist eine Moschee der DITIB. Mit Mahmut Eryilmaz will, wie es scheint, die HNA ein freundliches Gesicht der DITIB präsentieren. Brav plädiert er für Dialog und Vermittlung zwischen Religionen und verortet sich gar als Sozialdemokrat. Nun, auch die Sozialdemokratie ist nicht bekannt dafür, in Sachen Kritik des Islam Avantgarde zu sein.

Was die Lokalredakteure nicht tun, ist, ein paar kritische Fragen zu stellen, eben das zu tun, was ihre Aufgabe wäre. Herr Eryilmaz, was verstehen Sie unter Antisemitismus? Was tragen Sie dazu bei, dem Antisemitismus in Ihren eigenen Reihen entgegen zu treten?  Und was halten Sie vom jüngst in Kassel getätigten Aufruf des DITIB-Imams, den Märtyrer-Tod zu sterben und den politischen Gegnern Erdogans, die Vernichtung zu wünschen?

Diese Fragen fallen den Journalisten nicht ein, sie notieren lediglich, dass Eryilmaz darunter leidet, ständig auf seine türkische Nationalität angesprochen zu werden und unter „Generalverdacht zu stehen“. Er und seine Leidensgenossen wüssten nicht einmal, „wie viel ein Brot in der Türkei kostet.“ Der Brotpreis ist sicher eine relevante soziale Frage – nicht nur in der Türkei dürften allerdings andere Fragen brennender sein. Diese Fragen so scheint es, gehören aber nicht zum Programm der „Kultur des Dialoges“. Und es überrascht daher auch nicht, Eryilmaz ist Mitglied des Kasseler „Rat der Religionen“.

Jüdische Ethik und Kommunismus – Eine Debatte in einer Kasseler Zeitung

Die Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck war eine inhaltlich sehr anspruchsvolle Zeitung. Sie erschien in den Zwanziger- und Dreißigerjahren und wurde von Sally Kaufmann herausgegeben. Nicht nur über Vorkommnisse der jüdischen Gemeinden und Verbände aus der Region wurde dort berichtet, sondern es erschienen immer wieder anspruchsvolle Artikel über die Fragen der Zeit. Autoren wie z.B. Max Brodt und Arnold Zweig waren in der Zeitung prominente Autoren. Inhaltlich herausragend sind die Auseinandersetzung über Zionismus und Assimilation, über moderne Wissenschaften wie z.B. Psychologie, zur aktuellen wie auch historischen Situation der Juden in Hessen und in anderen Ländern Europas. Dem Antisemitismus in Deutschland und anderswo, sowie der Besiedlung Palästinas sind viele Artikel gewidmet.

Und so überrascht es nicht, dass die damals spektakuläre Befreiungsaktion der Olga Benario einen Niederschlag fand und zu einer interessanten Debatte in dieser Zeitung führte. Olga Benario war Aktivistin der kommunistischen Jugend. Sie befreite mit der Waffe in der Hand den Kommunisten Otto Braun aus der Untersuchungshaft. Daraufhin wurde nach ihr deutschlandweit gefahndet. In dem Artikel „Das Fiasko einer freireligiösen Mädchenerziehung. Eine Mahnung an unsere jüdischen Eltern“ führt ein ungenannter Autor am 11. Mai 1928 zunächst die Erklärungsversuche des Vaters Leo Benario an. „Wie kommt im Jahre 1928 ein Bourgeois-Mädel vom Isarstrande dazu, das Elternhaus stolz zu verlassen, um bei Arbeitern in Neukölln wohnen zu wollen?“ Wie es die meisten Eltern tun würden, klagt er sich nicht öffentlich als Elternteil selbst an, sondern sieht die Handlungen seine Tochter als Ergebnis der seit der Marneschlacht existierenden „preußischen Schuld“, die die „leicht empfänglichen und kritikschwachen Gemüter beeinflusst hätte.“ Das sieht der Autor anders und fordert eine strengere religiöse Erziehung. Er ist der Meinung, dass der Weg zum politischen Verbrechertum Ergebnis dessen sei, dass dem Kind kein Ideal im Elternhause geboten worden sei. Statt eine Stütze im jüdischen Glauben zu finden, wäre das Mädchen von „modernen Literaturerzeugnissen überfüttert worden.“ Zum Schluss folgt das Plädoyer: „Gebt euren Kindern die richtigen Bücher in die Hand, damit sie nicht in fremden Lagern nach Idealen suchen müssen, damit ihr Tun nicht zum Chissul Haschem werde, dessen sich unsere Feinde rühmen …“

Dieser Kommentar führt zum Widerspruch. Der Münchner Rechtsanwalt Ernst Mosbacher fragt in seiner am 1. Juni 1928 veröffentlichten Entgegnung, „Olga Benario, die politische Verbrecherin“, wie es dazu kommt, dass die jüdische Jugend sich zum „religionslosen marxistischen Sozialismus“ bekenne. Dabei gehöre es doch zu den besten Eigenschaften der Juden, ein ausgeprägtes Sozialgefühl zu besitzen, nachdem „die sozialen Verhältnisse in prinzipieller Weise zu gestalten [seien], den Ausgleich von arm und reich nicht der privaten Wohltätigkeit zu überlassen.“ Im Folgenden führt er aus, dass die Religionen, sowohl die christliche als auch die jüdische, Machtmittel der herrschenden Klasse sei, obwohl doch beide die Gleichheit der Menschen einforderten. Und obwohl sich nach Ansicht Mosbachers das Judentum deutlicher der sozialen Frage widme als es das Christentum tue, würden von keiner jüdischen Organisation konkrete Maßnahmen zur Überwindung der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit erwogen. Über die Abwendung der Jugend müsse man sich also nicht wundern und der Appell, dem jüdischen Glauben zu befolgen wäre zwecklos, wenn nicht das Judentum als Protest gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit verstanden würde. Und gerade letzteres Verständnis rechtfertige nicht, die Benario zu verurteilen.

Die abschließenden Sätze lassen aufhorchen. Hier wendet sich Mosbacher gegen die von dem unbekannten Autor ausgeführte Befürchtung, dass Aktionen wie die der Benario den Antisemitismus befördern würde. Das Blicken nach der Meinung der Nichtjuden sei überkommener Ausdruck „ghettohafter Gesinnung“. Im Gegenteil, es dürfe kein Jude davon abgehalten werden, mannhaft für die ethischen Ideale einzutreten. Mosbacher nimmt keine Partei für die Art und Weise der Aktionen der Benario und die Brauns, die zu dessen Inhaftierung führte. Ihm geht es um die handlungsbegründenden Ideen der beiden Kommunisten. Diese seien die für eine bessere Welt und daher auch Grundlage des Glaubens.

In einem weiteren Artikel „Olga Benario, ein Typus heutige jüdischer Jugend“, vom 8. Juni 1928, insistiert ein Dr. Max Köhler darauf, Verfechtern des jüdischen Glaubens nicht vorzuwerfen, wenn diese nicht die Kraft besitzen, „objektiv die sozialen Grundsätze im Leben auszuführen, welche die Lehre gebietet.“ Aber auch er akzeptiert die subjektiven Motive des Handelns Olga Benarios, weist aber darauf hin, dass das Judentum sehr wohl Arm und Reich kenne und dass Armut und Elend „Prüfungen des Lebens (Hiob)“ seien. Gleichwohl müsse diese Erkenntnis nicht darauf hinauslaufen, schicksalergeben die bestehenden Verhältnisse hinzunehmen, nein, es sei durchaus angebracht „die Mängel der Zeit zu geißeln und alle mögliche Kraft aufzuwenden, um einen sozialen Ausgleich zu schaffen.“ Köhler lehnt es aber strikt ab, Gewalt gegen den Staat und Ordnung auszuüben, denn sowohl die Erhaltung des staatlichen Rechts als auch der staatlichen Ordnung seien gerade für die Juden überlebenswichtig. Er beendet seinen Beitrag mit der altväterlich anmutenden Aufforderung: „Frag‘ deinen Vater, er wird es Dir sagen, frag‘ deine Alten (darunter sind die Autoritäten der Lehre gemeint) und sie werden es Dir künden.“

Liest man sich diese Diskussion durch, so wird zum einen die Unaufgeregtheit deutlich, mit der eine Aktion einer jungen Aktivistin debattiert wird, deren Motive auf der einen Seite ernst genommen werden und es gleichzeitig versucht wird diese zu erden und deren Aktionsform, in einer, aus heutiger Sicht fast prophetisch anmutender Weitsicht, einmütig abgelehnt wird und statt dessen, kritisches Denken und die gesellschaftliche Einmischung eingefordert wird.

Es wird deutlich, dass politisches Handelns (mit oder ohne Ausübung direkter Gewalt) einer auf die Möglichkeit einer besseren Welt reflektierenden ethischen Rückkoppelung bedarf, soll sie nicht zum Selbstzweck geraten.   – Eine durchaus aktuelle Diskussion und ein Anschauungsbeispiel dafür, inwiefern eine Religion sich dafür eignen kann, andere aber eben nicht.  Eine Diskussion, die nicht nur für ein regional erscheinende Zeitung, sondern auch für eine religiös motivierte Debatte bemerkenswert ist.

Olga Benario gelang es nach der Befreiung Otto Brauns nach Moskau zu fliehen. Dann ging sie nach Brasilien und nahm dort an einem Aufstandsversuch brasilianischer Kommunisten teil, der jedoch scheiterte. Sie wurde verhaftet und, weil schwanger, gesetzeswidrig an Nazideutschland ausgeliefert. Hier wurde sie im Frauengefängnis Barnimstraße in Berlin gefangen gehalten, dann in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht um von dort in die Euthanasieanstalt Berneburg verschleppt und ermordet zu werden.

Leo Benario war Rechstanwalt, Autor und bekennender Sozialdemokrat in München. Nach dem ersten Weltkrieg trat er für eine demokratische Umgestaltung des Justizwesens ein. Leo Benario starb 1933 eines natürlichen Todes, seine Frau und sein Sohn waren wie Olga ebenfalls Opfer der Judenvernichtung der Deutschen. (vgl., R. Weber, Schicksal der jüdischen Rechtsanwälte in Bayern nach 1933, S. 24)

Otto Braun absolvierte eine militärische Ausbildung an der Militärakademi Frunse in der Sowjetunion und nahm dann als Beauftragter der Komintern am Langen Marsch Mao Tse Tungs teil. Er starb 1974 in der DDR.

Der Herausgeber der Jüdischen Wochenzeitung Sally Kaufmann wanderte mit seiner Familie 1932 nach Palästina aus. Der wichtigste Autor dieser Zeitung Julius Dalberg wurde mit seiner Frau von den Nazis nach Sobibor deportiert und dort umgebracht

Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei Max Köhler um ein in Kassel geborenen Rabbiner, der u.a. in Berlin, Frankfurt, Borken und zuletzt in Schweinfurt tätig war. Köhler konnte noch 1939 über England nach Israel emigrieren.

Ernst Mosbacher, Rechtsanwalt aus München war später auch als Theatersänger tätig und fand verschiedene Engagements an Schweizer Theatern. Zuletzt trat er auch in Frankreich auf, wo er als Jude von den Nazis verhaftet, nach Auschwitz deportiert und umgebracht wurde.

 

22. Oktober in Kassel – Deutsches Gedenken und die Volksgemeinschaft

oder: Trotz Bomben – Ora et labora für den Sieg

Kassel wurde am 22.10.1943 von der Royal Air Force gründlich bombardiert. Ich habe mich diesbezüglich schon das eine oder andere mal an dieser Stelle geäußert (Bomben auf Kassel). Anlass sich erneut zu äußern, gibt der aktuelle Text des Portals der Stadt Kassel (Zäsur der Stadtgeschichte). Dort wurde der bisher zu findende Beitrag zu diesem Ereignis überarbeitet.

Erwähnung finden nun auch die Opfer unter den Fliegerbesatzungen, die ihr Leben im Kampf gegen Nazideutschland verloren. Dieser Trend, anscheinend den Focus auch auf die Opfer der Alliierten zu richten, hat einen fahlen Beigeschmack. Seit Kohls Bitburgauftritt ist das Bestreben zu beobachten, die Opfer der deutschen Diktatur (die europäischen Juden, die rassisch, politisch und anderweitig Verfolgten, die Soldaten und umgekommenen und ausgeraubten Zivilisten der Alliierten) zwar anzuerkennen und ordnungsgemäß zu betrauern, die toten deutschen Täter ihnen aber einfach zuzuordnen und so eine allgemeine Gemeinschaft der Opfer des 2. Weltkrieges zu bilden. Besonders deutlich wird diese problematische Sichtweise auch auf dem Portal der Stadt im Zusammenhang des Ehrenmals für die Opfer des Faschismus.

Es waren über 150.000 junge Soldaten, die als Fliegerbesatzungen gegen Nazideutschland kämpften und mit ihrem Leben bezahlten, weil es die Deutschen nicht taten – häufig mit der Ausrede, man hätte nichts tun können, jeder Widerstand hätte das Leben, mindestens aber die Einlieferung in das KZ gekostet. Bis in die 80iger Jahre hinein war man mit der offenen Schizophrenie der Volksgenossen konfrontiert, die die Gräuel in den KZs immer dann ins Gespräch brachten, wenn man sie fragte, warum sie ihre Stimme nicht erhoben hätten, im gleichen Atemzug aber steif und fest behaupteten, von nichts gewusst zu haben.

A Dutch woman cares for the graves of a Lancaster bomber crew of No. 460 Squadron RAAF, shot down when returning from a raid on Cologne, Germany, on 24 December 1944.

Das einzig legitime Gedenken. Eine holländische Frau pflegt das Grab einer britischen Bomberbesatzung, die im Dezember 1944 nach einem Angriff auf Köln ums Leben kam

Im Portal der Stadt wird ferner ausgeführt, dass Kassel Rüstungszentrum und deswegen Ziel alliierter Luftangriffe war. Das ist z.T. richtig, aber es verschweigt den entscheidenden Punkt. Ziel der alliierten Bombenangriffe war es auch, die Bevölkerung in den Städten zu demoralisieren. Die Bevölkerung, die als formierte Volksgemeinschaft die Grundlage und das Rückgrat der Naziherrschaft bildete, die in der Rüstungsindustrie arbeitete, die als Angehörige den moralischen Rückhalt der Soldaten bildete, die überall in Europa für die Durchsetzung der deutschen Ordnung kämpften, d.h. für die Vernichtung des Judentums und für die Eroberung eines Lebensraumes im Osten. Auch in Kassel formierte sich beispielhaft die Volksgemeinschaft. Die Wahlergebnisse für die NSDAP waren überdurchschnittlich, Kassels Bevölkerung war begeistert, als der Führer die Stadt besuchte, als der Reichskriegertag in Kassel stattfand, in Kassel fand der Pogrom gegen die Juden eigeninitiativ zwei Tage vor dem offiziell dafür vorgesehenen Datum statt. Auch in Kassel wurden die Soldaten, die von ihren ersten „Feldzügen“ von der Front kamen begeistert empfangen. Der Widerstand gegen die Nazis war bis zum Kriegsende gesellschaftlich isoliert, einfluss- und hoffnungslos.

Immer wieder wird das Argument angeführt, dass diese Intention der Royal-Air-Force vergeblich war. Was man den Strategen der Alliierten vorwerfen könnte ist, dass sie vergeblich einen Grad an Restvernunft in den Köpfen der Deutschen vermuteten. Stattdessen, je mehr Bomben auf die deutschen Städte fielen, desto fester schlossen sich die Reihe der Volksgenossen. Dass sich die Volksgenossen hinter die lokalen NS-Größen sammelten um die Trümmer, anstatt ihr Regime beiseite zu räumen, dass konnten die Luftkriegsplaner nicht ahnen. Den alliierten Soldaten die Verantwortung für eine solch aberwitzige und todessehnsüchtige Reaktion zuzuschieben ist grotesk aber bis heute en vogue.

Auch auf dem Portal der Stadt Kassel klingt dies durch, wenn im Stile der Durchhaltepropaganda dargelegt wird, das trotz der massiven Zerstörung „manche Begebenheiten .. den Menschen aber auch Kraft“ gegeben hätten. Kraft für was? Für den Widerstand, endlich die Naziherrschaft von innen heraus zu erschüttern? Wohl kaum! „Ora et labora“ heißt es nebulös. Was das damals bedeutete wird nicht ausgeführt, nämlich in die Hände zu spucken, aufzuräumen um die zerstörte Infrastruktur und die z.T. zerstörten Fabrikgebäude notdürftig zu reparieren um dort wieder für den Sieg arbeiten zu können.

Der Oberbürgermeister der Stadt  sieht in dem Angriff auf Kassel eine „schreckliche Zäsur in der Geschichte unserer Stadt“. Die schreckliche Zäsur fand  zehn Jahre vorher – 1933 – statt, als die deutsche Bevölkerung eine Koalition wählte, die Hitler an die Macht brachte und ein Jahr zuvor einen Präsidenten wiederwählte, der ihm den Weg bahnte, als die Demokraten versäumten gegen Hitler und seine Bündnispartner die Stimme zu erheben, als das Proletariat es versäumte zur revolutionären Tat zu schreiten und sich anstatt dessen in die Volksgemeinschaft einreihte.

Ich höre schon die Einwände, versetzte dich in die damalige Zeit, sei nicht so selbstgerecht, jeder Widerstand sei ob der totalen Herrschaft und Überwachung sinn- und hoffnungslos, ja selbstmörderisch gewesen, … Eben, weil wir es mit einer Volksgemeinschaft zu tun hatten! Deswegen mussten die Alliierten zu den Waffen greifen und zu Millionen ihr Leben geben, damit der deutschen Barbarei ein Ende bereitet wird.

Eindrücke einer Reise nach Triest und Istrien

Mehrfach habe ich das Gebiet Istrien bereist. Außer schönes Wetter, beschauliche Städtchen, leckeres Essen und ein badefreundliches Meer ist an dieser Region jedoch auch die Geschichte bemerkenswert.

In Jugoslawien fand 1941 nach dem Überfall Deutschlands auf das Land ein spontaner und bewaffneter Aufstand gegen die nazifaschistische deutsche Besatzungsmacht statt. Den überwiegend von Kommunisten angeführten jugoslawischen Partisanen gelang es in der Folge – freilich zu einem entsetzlich hohen Preis – über längere Zeiträume größere Gebiete der italienischen und deutschen Besatzungsmacht zu entreißen und zu kontrollieren und zuletzt auch die deutsche Besatzungsmacht zu vertreiben. Dieser Vorgang war einmalig in Europa. Diese Geschichte dieses Landes – auch die jüngere, die man nicht verstehen kann, ohne den Blick auf die Vergangenheit zu richten, beschäftigt mich seit Jahrzehnten. Die Gedanken, die ich mir bei den Reisen in dieses Land mache, kreisen um dieses historische Phänomen, aber auch darum, warum dieses Land immer wieder bei mir selbst als Projektionsfläche unerfüllter politischer Ideale  dient.

Anbei daher eine subjektiv gehaltene Reflexion über eine Reise in ein Gebiet, welches viele nur als Urlaubsgebiet und vielleicht noch als Gegend der Trüffel kennen. Sie beginnt in Triest, das mit der Bahn von Deutschland aus ganz gut zu erreichen ist und führt dann weiter nach Istrien, heute aufgeteilt in Slowenien und Kroatien.

Triest ist eine sehr beeindruckende italienische Hafenstadt an der Grenze zu Slowenien. Eher untypisch für italienische Städte ist die Innenstadt. Sie ist stark vom imperialen Zuckerbäckerstil aus der Zeit Österreichs-Ungarns geprägt – man könnte, betrachtet man die Zeit nach 1914 bis in die Gegenwart sich fast dazu hinreißen lassen zu sagen, aus einer Zeit, in der die Welt noch in Ordnung war.

Piazza Della Borsa

Piazza Della Borsa in Triest

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Der repräsentativ, zentral gelegene und sehr großzügig angelegte Platz „Piazza Unita D’Italia“ von der Mole aus gesehen. Schöner als der Platz einer anderen Einheit in Kassel ist er allemal.

Triest war neben Pula und Rijeka eine wichtige Hafenstadt der KuK-Monarchie Österreich-Ungarns. In diesem Gebiet lebten und leben Italiener, Slowenen, Kroaten und Österreicher. Nach dem Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie fiel Triest an Italien, im zweiten Weltkrieg gehörte es zeitweilig zur sogenannten Operationszone Adriatisches Küstenland, wodurch das Gebiet nach dem Sturz Mussolinis direkt dem deutschen Reichsgebiet zugeschlagen und dem Kommando der SS unter Friedrich Rainer und Odilo Globocnik unterstellt wurde. Nachdem die jugoslawischen Truppen von Süden und englische Truppen von Westen kommend, sowie jugoslawische und italienische Partisanen die letzten Nazitruppen Ende April und Mai 1945 aus Norditalien und Istrien vertrieben hatten, besetzten jugoslawische Truppen zunächst Triest. Dann wurde einige Tage später Triest alliierter Herrschaft unterstellt und zu einem „freien Territorium“ erklärt um dann schließlich 1954 Italien zugeordnet zu werden.

Spuren und Zeichen der Erinnerung in Triest

Italien stand im 1. Weltkrieg auf der Seite der Alliierten. Blutige Kämpfe fanden am Isonzo, der ca. 100 km westlich von Triest in das Mittelmeer fließt, statt. Erst durch die massive Verstärkung durch englische und amerikanische Truppen gelang es in Italien, die Truppen der Achsenmächte zurückzudrängen. Bis heute wird an dieses blutige Schlachten auch in Triest mit zahlreichen Denkmälern uns Skulpturen erinnert.

Eine Skulptur in Triest, die den italienischen Soldaten im 1. Weltkrieg gewidmet ist.

Eine Skulptur in Triest, die den italienischen Soldaten im 1. Weltkrieg gewidmet ist.

Man  findet auf den Spaziergängen in der Stadt viele in Stein gemeißelte oder in Bronze gegossene Zeugnisse des italienischen Nationalismus vor. Die Stadt wird durch den zentral gelegenen Hügel San Guisto geprägt. Oben auf dem Hügel steht das Kriegerdenkmal für die im ersten Weltkrieg gefallenen italienischen Soldaten.

Von faschistischer Ästhetik geprägtes Kriegerdenkmal in Triest

Das von faschistischer Ästhetik geprägte Kriegerdenkmal in Triest

Läuft man durch den am westlichen Hang gelegenen Park findet man unzählige Erinnerungssteine gefallener italienischer Soldaten. Gefallen in Afrika, in Italien und im Mittelmeer, aber auch in Spanien und in Palästina. Mitten drin, die Erinnerungsstätten an die antifaschistischen Kämpfer Italiens. Unten in der Stadt werden auf Erinnerungstafeln diejenigen geehrt, die nach 1945 für den Anschluss Triest an Italien demonstrierten und bei Zwischenfällen mit Sicherheitskräften ums Leben kamen.

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Am Hügel San Guisto wird an Alle erinnert. An die, die in allen möglichen Ländern für Faschismus und das italienische Vaterland ums Leben kamen, als auch an die, die gegen Faschismus und deutsche Besatzung kämpften.

Unter Mussolini versuchten die italienischen Faschisten die im Küstenland um und in Triest und nun in Italien lebenden Slowenen zu italienisieren. Die slowenische Sprache war verboten, renitente slowenische Nationalisten wurden verhaftet und / oder ausgewiesen. In Triest kam es 1920 zu einem Pogrom. Der Narodni-Dom, das Kulturzentrum der Slowenen in Triest wurde von einem faschistischen Mob angezündet. Gegen die slowenische Untergrundbewegung, die gegen die faschistische Politik kämpfte, wurde mit Härte vorgegangen. Nach dem Überfall auf Jugoslawien durch deutsche und italienische Truppen 1941, wurde diese Politik auf das nun von italienische Truppen besetzte slowenische Gebiet Jugoslawiens ausgeweitet. (Die italienische Besatzungspolitik war rassistisch und brutal, wurde aber von der deutschen, mit der der serbische Teil Jugoslawiens überzogen wurde, bei weitem in den Schatten gestellt. Der Terror des kroatischen Ustaschastaates stand der deutschen Herrschaft im serbischen Teil wiederum in nichts nach.)

Auch unter Mussolini setzte sich in Italien in den dreißiger Jahren eine immer stärker antisemitisch ausgeprägte Politik durch, die  noch vor dem Sturz Mussolinis 1943 in Triest zu einem Pogrom nun gegen die jüdische Bevölkerung führte. Die große Triester Synagoge wurde dabei geplündert.

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Die Synagoge von Triest. Sie ist eine der größten im Mittelmeerraum. 1943 wurde sie von faschistischen Italienern geplündert. Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung wurde nach dem Sturz Mussolinis von den Deutschen deportiert und umgebracht.

Doch erst die deutsche Politik setzte den eliminatorischen Antisemitismus um. Ein Großteil der bis dahin noch nicht geflüchteten, untergetauchten oder von Italienern oder Jugoslawen versteckten jüdischen Bevölkerung Triests und Istriens wurde nach Auschwitz deportiert. Nur wenige kamen zurück.

Auch in Triest plünderten die deutschen Mordkommandos die Juden vor ihrer Ermordung aus. ein paar zurückerlangte Habseligkeiten der Opfer sind im Museum Rissiera Di San Sabba ausgestellt

Auch in Triest plünderten die deutschen Mordkommandos die Juden vor ihrer Ermordung aus. Ein paar zurückerlangte Habseligkeiten der Opfer sind im Museum Rissiera Di San Sabba ausgestellt

Nach dem Sieg der jugoslawischen Partisanen kam es in Slowenien zu blutigen Racheaktionen. Mit Resten der deutschen Wehrmacht versuchten Kollaborateure aus Slowenien und Kroatien Mitte Mai 1945 in das kürzlich von englischen Truppen besetzte Österreich  zu fliehen, dort wurden sie aber zurückgewiesen und viele von ihnen wurden dann von jugoslawischen Truppen und Verbänden direkt an die Wand gestellt. Mehrere Tausend tatsächliche und vermeintliche Kollaborateure wurden so umgebracht. Auch bei Triest kam es zu solchen extralegalen Hinrichtungen. Diese Morde wurden und werden von Geschichtsrevisionisten aller Couleur zu Delegitimierung des von jugoslawischen Kommunisten angeführten Aufstandes und Volkskrieges gegen die deutsche Nazibesatzung instrumentalisiert oder mit dem Terror des Naziregimes auf eine Stufe gestellt.

Fährt man durch das italienische Hinterland von Triest, so sieht man überall, sowie auch in Istrien zweisprachige Orts- und Straßenschilder. Das ist insofern bemerkenswert, als dass der Versuch in Kärnten eine ähnliche Praxis umzusetzen von rechten und rechtsextremen Österreichern auf das schärfste bekämpft wurde. In Triest ist das Slowenische weniger präsent, der niedergebrannte Narodni-Dom wurde aber wieder aufgebaut, es gibt ihn heute wieder und wird von der slowenischen Bevölkerung Triests und Umgebung als Kulturzentrum genutzt.

Jugoslawische Erinnerungs- und Gedenkpolitik

Ob den jugoslawischen Juden in Istrien gedacht wird und wurde ist mir nicht bekannt. Im Gegensatz zur Situation in den sozialistischen Ländern, ist der Massenmord an den Juden in Jugoslawien jedoch nicht verschwiegen worden. Es gibt in Belgrad ein Mahnmal, das sich explizit dem Holocaust widmet und seit 1948 auch ein jüdisches Museum.

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Das Mahnmal in Belgrad, das den ermordeten jugoslawischen Juden gewidmet ist.

Aus Istrien wurden nach 1945 viele Italiener vertrieben, die,  die jedoch bereit waren, die jugoslawische Staatsbürgerschaft anzunehmen, konnten in ihrer Heimat bleiben. Das auch Italiener sich den Partisanen und dem Widerstand anschlossen, ist in Jugoslawien nicht verschwiegen worden. Einige Erinnerungsstätten für den Kampf gegen den Nazifaschismus sind in Istrien auch in italienisch verfasst.

Ein Denkmal für den Kampf der Partisanen in Novigrad. Die Inschrift ist italienisch.

Ein Denkmal für den Kampf der Partisanen in Novigrad. Die Inschrift ist italienisch.

Auch wenn die Erinnerung an Tito bei vielen Zeitgenossen verblasst. In Istrien findet man nach wie vor viele Erinnerungsstätten an die im Partisanenkampf Gefallenen und von den Deutschen Ermordeten und Deportierten.

Auch wenn in Istrien zahlreiche Plätze und Strassen nach Tito benannt sind, die Erinnerung an ihn scheint zu verblassen

Auch wenn in Istrien zahlreiche Plätze und Strassen nach Tito benannt sind, die Erinnerung an ihn scheint zu verblassen

Anders als in anderen kroatischen Gebieten sind diese dort in den neunzigern und 2000er Jahren stehen geblieben, oder wurden wieder aufgerichtet.

Eine Büste für eine Partisanin in Pazin / Istrien. Einige der Büsten wurden in den Neuzigern oder 2000ern zerstört. Sie sind wieder aufgerichtet worden.

Eine Büste für die Partisanin Olga Ban in Pazin / Istrien. Einige der Büsten wurden in den Neunzigern oder 2000ern zerstört. Sie sind wieder aufgerichtet worden.

In Pazin beispielsweise wurden die in den 2000er Jahren z.T. zerstörten Büsten der „Volkshelden“ des antifaschistischen Befreiungskrieges wieder hergerichtet.

In Pazin / Istrien: Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk, eine Parole die in Kroatien nicht auf einhellige Zustimmung stößt.

In Pazin / Istrien: Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk, eine Parole, die in Kroatien nicht auf einhellige Zustimmung stößt.

In Novigrad erinnert ein Büste an die von den Deutschen ermordete Partisanin Irma Bencic.

Die in Novigrad wieder aufgestellte Erinnerungsbüste der Partisanin Irma Bencic

Die in Novigrad wieder aufgestellte Erinnerungsbüste für die Partisanin Irma Bencic

Viele der Mahnmale sind in den Achtzigern errichtet worden, es gibt aber auch ältere oft schlicht gehaltene Denkmäler und Erinnerungsstätten. In Porec hingegen grüßt pathetisch vor dem Eingang zur Altstadt der Genosse Joakim Rakovac. Porec, bevorzugtes Reisegebiet vieler Urlauber aus Deutschland und Österreich ist auch Bischofssitz, vielleicht ist das kriegerische Denkmals dort doch nicht ganz fehl am Platze. Die katholische Kirche in Kroatien hat sich in der deutschen Besatzungszeit nicht mit Ruhm bekleckert und ist von der jugoslawischen Regierung 1948 völlig zurecht enteignet worden.

Dieser pathetische Stil des Denkmals für den Partisanenführer Akim Rakovic in Porec ist seltener anzutreffen.

Dieser pathetische Stil des Denkmals für den Partisanenführer Akim Rakovac in Porec ist seltener anzutreffen.

Etwas nördlich von Porec, an idyllischer und ruhiger Stelle direkt am Meer gelegen, liegt das ehemalige Kloster Dajla. Es wurde in Jugoslawien als Altenheim und Sanatorium genutzt. Nach Rückübertragung an die katholische Kirche und Rechtsstreit steht es seit Jahren leer und verfällt. Es gibt mehrere Beispiel für ehemals sozial sinnvoll genutzte Gebäude an prominenter Stelle, die heute nicht nur ungeklärter Besitzverhältnisse wegen, dem Verfall preisgegeben sind.

Die direkt am Meer gelegene Ruine Dajla

Die direkt am Meer gelegene Ruine Dajla

Die meisten Mahnmale und Erinnerungsstätten sind zurückhaltend und das Leid des Befreiungskrieges angemessen ausdrückend gestaltet. Auch die Rolle der Frauen ist nicht zu übersehen.

Im Vergleich zum italienischen Kriegerdenkmal wird hier der Tod im Kampf gegen Nazideutschland weniger heldenhaft. Das Leiden steht im Vordergrund.

Im Vergleich zum italienischen Kriegerdenkmal wird hier im istrischen Städtchen Buje der Tod im Kampf gegen Nazideutschland weniger heldenhaft dargestellt. Das Leiden steht im Vordergrund.

Das Denkmal für die Partisanen in Buzet / Istrien. Unverkennbar trägt die Frau ebenfalls eine Waffe und sucht nicht nur Schutz hinter dem tapferen männlichen Kämpfer.

Das Denkmal für die Partisanen in Buzet / Istrien. Unverkennbar sucht die Frau nicht den Schutz hinter dem tapfer kämpfenden Mann, sondern trägt selbst in kämpferischer Weise eine Waffe.

Im glichen Städchenauf der gegenüberliegenden Seite ist ebenfalls ein Monument jüngeren Datums errichtet. Dort ist

Im gleichen Städtchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist die Rollenverteilung auf dem gleichwohl sehr eindrucksvollen Monument jüngeren Datums anders. Die endlose Zahl der Opfer dieses kleinen Orts, die auf der Mauer dieses Memorials aufgeführt werden, sagt viel über das Ausmaß des Leidens der Menschen unter deutscher Besatzung aus.

Erinnerung an die deutsche Vernichtungspolitik in Triest

Unter deutscher Herrschaft spielte das Sammel- und Durchgangslager Risiera Di San Sabba ein wichtige Rolle. In der am Rande Triests gelegenen ehemaligen Fabrik wurden unter der Regie der SS mehrere tausend Juden, Slowenen und italienische Widerstandskämpfer und Gefangene ermordet. Hier ist ein beeindruckende Erinnerungsstätte errichtet worden, die 1965 vom italienischen Präsidenten der Republik zum Nationalmonument erklärt wurde.

Deutsche Fachmänner errichteten in der Risiera Di San Sabba ein Krematorium, um die Ermordeten zu verbrennen. An den Rauch des Krematoriums erinnert heute eine Stele.

Deutsche Fachmänner für Mord und Totschlag errichteten und betrieben in der Risiera Di San Sabba ein Krematorium, um die von ihnen Ermordeten zu verbrennen. An den Rauch des Krematoriums erinnert heute eine Stele.

Eine Zelle in der Risiera. In einer solchen Zelle wurden bis zu 15 Menschen inhaftiert. Eine vertrocknete Blume zeigt, dass regelmäßig an sie erinnert wird.

Eine Zelle in der Risiera. In einer solchen Zelle wurden bis zu 15 Menschen inhaftiert. Eine vertrocknete Blume zeigt, dass regelmäßig an sie erinnert wird.

Von Triest wurden viele Juden nach Auschwitz deportiert. Den Bezug stellt die in der Risiera aufgestellte Skulptur des Künstlers Marcello Mascherini her.

Von Triest wurden viele Juden nach Auschwitz deportiert. Den Bezug stellt die in der Risiera aufgestellte Skulptur des Künstlers Marcello Mascherini her.

Ausführlich zur politischen Geschichte dieser Region:

  • Rolf Wörsdörfer, Krisenherd Adria 1915 – 1955, Konstruktion und Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum, Paderborn 2014
  • Kärnten|Slowenien|Triest, Umkämpfte Erinnerungen. (Hg.) Tanja v. Fransecky u.a., Bremen 2010
  • Jozo Tomasevich, War and Revolution in Yugoslavia, 1941 – 1945. Occupation and Collaboration, Stanford 2001
  • Marie-Janine Calic, Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert, München 2010
  • Die Internetseite „Gedenkstättenportal zu Orten der Erinnerung in Europa“ widmet sich der Gedenkstätte  Risiera di San Sabba.

 

Ein Einzeltäter und sein Offenbarungseid

Ein junger Mann zündet eine Flüchtlingsunterkunft an. Er malt Hakenkreuze an die Wand, als Passanten vorbei kommen, ruft er „Heil Hitler“ und verschwindet. Später nimmt die Polizei ihn in seiner Wohnung fest und findet dort eine Reichskriegsflagge. Über die, die jetzt die Aussage treffen würden, „wer jeden, der eine Flüchtlingsunterkunft anzündet und dabei Heil Hitler ruft einen Nazi nennt, beteiligt sich am Hokuspokus der Nazis“ würde die übliche Empörungswelle vieler Linker und Nazigegner hereinbrechen – durchaus nicht zu Unrecht.

“Wer jeden Selbstmörder, der Allahu akbar ruft, einen Jihadisten nennt, beteiligt sich am Hokuspokus der Islamisten. In der Rede von Moslems kommt Allah fast so häufig vor wie bei den Amerikanern das fuck’n. Im Fall des Selbstmörders soll die Anrufung Allahs dem Tod einen Sinn verleihen, den er in seinem Leben nicht mehr fand.“ Das schreibt Hermann L. Gremliza im aktuellen konkret-Heft im Artikel „Einzeltäter en masse“ (8/16, S. 9). Der Beifall vieler, die sich als kritische Linke, oder so wie er selbst damit kokettieren, sich als Kommunist zu bezeichnen, dürfte ihm Gewiss sein

Zwar rufen heute die Deutschen nicht mehr „Heil Hitler“, dennoch war dieser Aufruf in Deutschland lange so gebräuchlich, wie bei den Amerikanern das fuck’n. Also: Bei vielen, die in der Wehrmacht dienten, hat dieser Aufruf dem eigenen Tod im Krieg einen Sinn verliehen, den sie in ihrem trostlosen Leben nicht finden konnten. Das hat alles nichts mit der deutschen Volksgemeinschaft zu tun, die auszog um das Judentum zu vernichten – sondern mit dem trostlosen Leben der Arbeitslosen in der Weltwirtschaftskrise (– die ja bekanntlich von der Wallstreet verursacht wurde).

Gremliza schreibt in seinem Artikel auch noch von den Kriegen, die Frankreich in Nordafrika führte, die mehrere Hunderttausend Tote zur Folge hatten und schließt: „Bis die Nachfahren der Opfer mit Frankreich quitt wären, hätten sie also noch reichlich Luft nach oben.“ Die Attentäter in Nizza (und in Würzburg) haben also nichts mit dem Islam zu tun, sondern haben nur Schritte unternommen, im Bodycount, den Frankreich nach dem zweiten Weltkrieg in Nordafrika eröffnete, gleichzuziehen.

Deutschland erlitt im Ersten Weltkrieg eine Niederlage in einem ungewollten Krieg und musste dafür mit einem Diktatfrieden büßen. Bei dem Versuch, mit England und Frankreich quitt zu sein, haben die, die so häufig Heil Hitler riefen, wie die Amerikaner fuck’n, lediglich etwas überzogen und das mit den Juden hätte ja nicht sein müssen – wie viele von ihnen später, die Schultern zuckend, meinten sich zu entschuldigen.*

in die Tonne

Soviel zum moralischen Untergang und intellektuellen Bankrott eines Publizisten und Herausgebers einer linken Publikumszeitschrift.

* Die von Boualem Sansal in seinem Buch, „Das Dorf des Deutschen“ dargelegten Affinitäten und Sympathien der algerischen FLN-Kämpfer zu den Nazis und der von ihm im gleichen Buch beschriebene Zusammenhang zum Jihadismus im Frankreich von heute legen diese zunächst schief erscheinende Analogie nahe. Zwar lassen sich die Ereignisse in Deutschland nach 1918 mit denen in Algerien nach 1945 nicht gleichsetzten und schon gar nicht die Ursache und die Folge dieser beiden historischen Perioden. Der Erste Weltkrieg und die Folge, der Frieden von Versailles sind Ergebnis deutscher Großmachtpolitik, die Kolonialpolitik Frankreichs in Nordafrika hat wenig bis nichts mit der Politik der verschiedenen, im 18 Jahrhundert in Algerien herrschenden Stämme zu tun. Der  deutsche NS ist selbstredend keine Folge des Friedens von Versailles und der zeitweiligen Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen, der Unabhängigkeitskrieg Algeriens aber die, der französischen Kolonialpolitik in diesem Land. Dennoch , die Rhetorik der antikolonialen Kämpfer der FLN weist eine gewisse Ähnlichkeit  mit der eines Schlageters und seiner nationalbolschewistischen Spießgesellen auf und je mehr man sich mit dem Thema befasst, desto mehr wird ein Abgrund sichtbar, der sich unterm Antiimperialismus auftut, wenn man genauer hinschaut.